Wie bearbeite ich eine formelle Beschwerde?

Prüfung einer Meldung nach HinSchG oder LkSG

Viele Betriebe haben zum Dezember 2023 auf dem Papier Meldestellen nach HinSchG eingerichtet oder müssen erstmalig ein Beschwerdeverfahren nach LkSG betreiben. Aber was muss man eigentlich tun, wenn man eine Meldung erhält?

Formelle Beschwerden nach HinSchG und LkSG laufen immer nach dem gleichen Muster ab. Die Abarbeitung muss eine gewisse Qualität aufweisen, sonst läuft das Unternehmen Gefahr, dass es ein Bußgeld zahlen muss, weil die Meldestelle praktisch nicht existiert.

Wer eine extern geführte „interne Meldestelle“ hat, kann sich in der Regel auf deren Fachkunde verlassen. Wer aber die Bearbeitungen von Meldungen selbst intern organisiert, sollte Folgendes beachten:

 

1. Prüfkriterien – bin ich zuständig?

Die erste Frage ist immer: Bin ich zuständig? Ist die Meldung konkret und spezifisch genug, um sie (ggf. durch weitere Ermittlungen) auf einen der Meldetatbestände zurückzuführen?

Für eine Meldung nach HinSchG muss man den Katalog in § 2 HinSchG durchstöbern und darf nicht vergessen, dass nur solche rechtswidrigen Taten oder Unterlassungen zählen, die nach § 3 Abs. 2 HinSchG im Rahmen einer beruflichen, unternehmerischen oder dienstlichen Tätigkeit erfolgt sind.

Für das LkSG stehen die zu prüfenden Tatbestände in § 2 LkSG sowie in dessen Anhang und man muss sie sich erst zusammensuchen.

In vielen Fällen wird man dazu einen Straftatbestand oder eine Bußgeldvorschrift heraussuchen müssen. Straftatbestände sind vor allem die §§ 88 ff. im Strafgesetzbuch, dem „Besonderen Teil“ des StGB zu finden. Es gibt aber noch weitere Straftatbestände und Ordnungswidrigkeiten in vielen anderen Gesetzen oder Verordnungen. Diese müssen Sie anhand der Meldung recherchieren und notieren. Für jeden Tatbestand gibt es objektive und subjektive Tatbestandsmerkmale, die sie in logischer Reihenfolge prüfen müssen. Danach gibt es noch die klassischen Rechtfertigungsgründe wie „Notwehr“ nach § 32 StGB zu beachten.

 

Beispiel 1 – § 266a I StGB

Für den Vorwurf des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt nach § 266a Abs. 1 StGB sähe das beispielsweise so aus

  1. Objektiver Tatbestand

    1. Arbeitgeber (ihm nach § 14 StGB zurechenbare oder nach § 266a V StGB gleichgestellte Person)

    2. geschuldete Arbeitnehmeranteile zur Gesamtsozialversicherung

    3. Vorenthalten, obwohl zumutbar & möglich (Vgl. Vorrangrechtsprechung des BGH, omissio libera in causa)

  2. Subjektiver Tatbestand (bedingter Vorsatz reicht)

    1. Arbeitgeber weiß, dass er Arbeitgeber ist

    2. Arbeitgeber weiß, dass Sozialbeiträge zu zahlen wären

    3. Arbeitgeber weiß, dass Zahlung zumutbar & möglich

Was bedingter Vorsatz bei einem echten Unterlassungsdelikt im Einzelnen heißt, würde hier den Rahmen sprengen.

Nach § 16 StGB könnten Irrtümer darüber, über das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses oder den Fälligkeitszeitpunkt den Vorsatz entfallen lassen.

 

Beispiel 2 – § 266a II StGB: Scheinselbständigkeit

Der § 266a Abs. 1 sieht auf den ersten Blick einfach aus, aber was ist, wenn der Melder behauptet, der Dienstleister sei scheinselbständig?

Dann muss man in Absatz 2 des § 266a schauen. Dort steht nämlich die Pflicht, dem Sozialversicherungsträger alle wesentlichen Tatsachen mitzuteilen. In diesem speziellen Fall gilt als wesentlich, dass man sich ein vollständiges Bild aller Umstände macht, insbesondere, ob der Dienstleister nur einen (Groß-)Kunden hat (dann eher Scheinselbständigkeit) oder mehre, ob er weisungsabhängig oder weisungsfrei in Bezug auf die Arbeitszeiten ist, ob er fest in die Infrastruktur integriert ist und die Räume des Auftraggebers nutzt oder eigene. Wenn nach der Würdigung nicht unerhebliche Zweifel bleiben, darf man in der Regel nicht selbst entscheiden, sondern muss das Ergebnis dem Sozialversicherungsträger mitteilen, will man straflos bleiben.

 

2. Tatsächliche Prüfung

Die in Schritt 1 erarbeiteten Kriterien muss der Prüfer nun mit der Wirklichkeit konfrontieren. D.h. er muss Beweise erheben, die geeignet sind. Das sind in erster Linie:

  1. Originaldokumente (keine von Dritten gezogene Kopien!)

  2. Protokollierte Zeugenaussagen, nach Möglichkeit vom Zeugen unterschrieben

  3. Fotos, Videos (möglichst unbearbeitet!)

  4. Webseiten, E-Mails, …

 

Beispiel 1 – § 266a I StGB

Hier wäre ein vom Steuerberater erstellter Lohnnachweis und der Kontoauszug mit der entsprechenden Überweisung auf das Konto des Sozialversicherungsträgers geeignete Beweise.

 

Beispiel 2 – § 266a II StGB

Hier wäre bei echtem Zweifel der einfachste Nachweis eine amtliche Statusfeststellung der Deutschen Rentenversicherung, die beiden Seiten beantragen können. Dem vorgeschaltet sollte sich das Unternehmen natürlich erst mal selbst ein Bild der Lage machen.

Da es hier auf eine Gesamtschau ankommt, ist das schwieriger {als was? Hier würde ich näher ausführen und/oder mich nochmals auf den “echten Zweifel” beziehen}. Behauptet der Dienstleister, andere Kunden zu haben, wäre ein entsprechendes Testat seines Steuerberaters, wieviel seiner Einnahmen auf das Unternehmen des Melders entfallen und wieviel auf andere Kunden, sicher eine Möglichkeit. Darüber hinaus könnte man sehen, ob er Visitenkarten und eine Homepage oder andere Werbemittel hat, die objektiv davon zeugen, dass er an weiteren Kunden interessiert ist. Man könnte auch den Vertrag als Beweis heranziehen, dass Termine nicht mit festen Arbeitszeiten nach Weisung des angeblichen Arbeitgebers sondern einverständlich vereinbart werden, der Selbständige seine Arbeit also selbst einteilen kann und nicht die Räume des angeblichen Arbeitgebers genutzt werden müssen. Am Schluss muss man das Für und Wider abwägen und feststellen, ob man zu einer eindeutigen Tendenz kommt.

 

3. Entscheidung

Anschließend ergeht eine Entscheidung zum weiteren Verlauf nach § 18 HinSchG, also

  1. Einstellung

  2. weitere Untersuchungen

  3. Übergabe an andere Abteilung im Unternehmen oder zuständige (Straf-)behörde

  4. Verweis des Melders an die externe Meldestelle oder zuständige (Straf-)behörde

Weitere Untersuchungen müssen angestellt werden, solange ein begründeter Verdacht besteht und eine begründete Hoffnung auf ein Ergebnis. Eine Einstellung kommt nicht in Betracht, solange einfach zu erlangende Beweise nicht erhoben wurden.

D.h. wenn der Vorwurf erheblich und plausibel ist, das Unternehmen bei der möglich erscheinenden Aufklärung aber angesichts der festgestellten Dringlichkeit nicht ausreichend mitarbeitet, wird die Meldestelle in der Regel den Melder an eine externe Stelle verweisen oder diese – je nach Dringlichkeit – selbst einschalten müssen.

 

4. Dokumentation

Da es nicht reicht, den scheinbaren Täter zu fragen, muss alles dokumentiert werden. Das heißt die Meldestelle nach HinSchG oder der für sie tätige Mitarbeiter müssen Originale der Beweismittel ansehen, sie soweit möglich auf Echtheit überprüfen und zwei Berichte verfassen.

Wie das Verfahren für das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hier gestaltet wird, wird in § 8 LkSG nicht geregelt. Man kann es sich einfach machen und das Verfahren nach HinSchG für anwendbar erklären, um Doppelstrukturen zu vermeiden.

 

1. Bericht für die Meldestelle

Im Bericht für die Meldestelle sollten mindestens digitale Kopien der verwendeten Original-Beweismittel enthalten sein. Er sollte die geprüften Tatbestände nach Schritt 1, die Würdigung aus Schritt 2 und die begründeten Entscheidungen aus Schritt 3 belegen.

 

2. Bericht für den Melder

Nach § 17 Abs. 2 HinSchG muss binnen drei Monaten ab Eingangsbestätigung dem Melder unter Berücksichtigung des Datenschutzes anderer Beteiligter ein (Zwischen-)Ergebnis mitgeteilt werden. Dieses beinhaltet:

  1. Geplante und durchgeführte Folgemaßnahmen

  2. Gründe für die Maßnahmen

 

Weiterführend zu den Beispielen

 

Autor: Thomas Hofmann, Data Privacy Legal Consultant, 15.01.2024

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Florian Thomas Hofmann